Kommentar
Warum geht beim Klimaschutz so wenig voran? Und wenn doch, warum dauert das oft so lange und wieso wird meist nicht mehr als der Minimalkonsens erreicht? Auf diese Fragen gibt es tausend richtige Antworten. Eine ist die Kombination aus Lobbyismus und Selbstgerechtigkeit die zahlreiche Klimaschutzbemühungen bremst.
Der Lobbyismus nutzt unsere Selbstgerechtigkeit, um seine Ziele zu erreichen. Uns ist meist gar nicht bewusst, mit welchen Strategien PR-Unternehmen uns beeinflussen. Klar, von Klimawandelleugnung und Blackoutangst bis zum persönlichen CO2-Fussabdruck, diese Lobbystrategien haben wir alle schon einmal gehört. Was aber ist wohl gerade die neuste Masche? Die neue Methode oder vielleicht auch nur die weiterentwicklte Strategie? Sieht man sich die Gründe für das Scheitern vieler ambitionierter Vorhaben an, bemerkt man das oft eine mehrheitsfähige Position in viele kleinere und detailiertere Forderungen gespalten wird. So wird aus einer Mehrheit ein streitender Haufen Minderheiten der politische und gesellschaftliche Entwicklungen lähmt. Spaltung ist als im Interesse derjenigen die am Status Quo festhalten wollen. Spaltung der Gesellschaft und Spaltung der Klimabewegung. Besonders beliebt scheint dabei zu sein, eine Spaltung über den Schlüssel Selbstgerechtigkeit herzustellen. Eine Taktik die scheinbar ausgezeichnet funktioniert. Lützerath lässt grüßen.
Drei Methoden lassen sich derzeit häufig beobachten:
– Demokratieverständnis beeinträchtigen,
– Rosinenpickerei fördern
– Alles-oder-Nichts-Debatte anheizen.
Was das bedeutet? Ein Erklärungsversuch:
1. Demokratieverständnis beeinträchtigen:
Welche Partei setzt am meisten Klimaschutz um? Die CDU/CSU die jahrelang die Erneuerbaren sabotiert haben und die wie kaum eine andere Partei mit der Fossilindustrie klüngelt? Die SPD die seit dem genialen Klimapolitiker Hermann Scheer, außerhalb von Wahlkampfplakaten Klimaschutz scheinbar eingestellt hat? Die FDP die bei Klimaschutz an Kernfusion, E-Fuels und neue Autobahnen denkt? Die Linke die alles verspricht, aber außer tax-the-rich kaum eine Antwort hat? Die Grünen die Deals mit RWE machen? Oder soll es gar eine ganz andere Partei sein?
Eines vorneweg: Der größte Fehler den Teile der Klimabewegung nun des Öfteren machen, ist in die Falle der Rechten zu tappen und außerhalb der Demokratie nach Lösungen zu suchen. Eine gefährliche Angriffsfläche. Ganz allgemein ist Politikverdrossenheit wohl der erste Teil der Strategie Demokratieverständnis beeinträchtigen. Es gibt in Deutschland nicht „die Politik“. Wer das behauptet hat sich intellektuell disqualifiziert. In Russland gibt es „die Politik“ und traurigerweise sind es aber gerade die Putinfans die das Deutschland gerne unterstellen (aber das ist ein anderes Thema). In Deutschland gilt die alte Floskel: Eine Demokratie braucht Mehrheiten und die Suche nach Mehrheiten erfordert Kompromisse. Die Aufgabe der Aktivist:innen ist es die Schwächen der Kompromisse aufzuzeigen und ihre Forderungen mehrheitsfähig zu machen. Der Unterschied zwischen Aktivismus und Politik ist, aber nun mal der wesentliche Fakt, dass Aktivismus sich ganz auf sein Kernanliegen beschränken kann, die Regierung aber für alle direkten und indirekten Folgen verantwortlich ist. Eine Aktivistin muss der Familie mit Arbeitsplätzen in einer gefährdeten Industrie und mit Immobilienkredit keine Lösung bieten und die Angst nehmen. Sie muss auch nicht dem Bürgergeldempfänger erklären, wie er die höheren Energiekosten tragen soll. Das sollte nicht der Anspruch sein. Allerdings darf erwartet werden zu verstehen welch massiver Gegenwind aus großen Teilen der Medien und von Lobbyverbänden bei jeder Klimaschutzbemühung kommt. Zusätzliche Kritik der Klimabewegung sollte das argumentatorisch beachten. Ein Aktivismus der eigentlich progressive Politik lähmt schadet der Sache. Zugegeben: Ein Ritt auf der Rasierklinge. In dieser Hinsicht waren die Merkeljahre beispielhaft für den einfachsten Weg: Keine Klimapolitik bedeutet wenig Kritik, aber Erfolge bei Wahlen.
Kaum ein Ereignis bringt das Dilemma außerdem so beispielhaft zum Ausdruck wie Lützerath. War der Kohledeal der Grünen nun richtig oder falsch?
– Politisch war er für die Grünen eine Katastrophe. Das gesamte Parteien- und Medienspektrum konnte auf die Grünen einschlagen.
– Ordnungspolitisch gibt es nun eine klare Weichenstellung. Investor:innen mit milliardenschweren Projekten in nachhaltige Strom-, Wärme und Speichertechnologie haben nun ein Stück mehr Planungssicherheit. Die Ungewissheit, trotz CO2-Bepreisung, auch nach 2030 noch von günstiger Kohle aus dem Markt verdrängt zu werden ist dadurch nahezu ausgeschlossen.
– Welche klimatischen Folgen der Deal hat, lässt sich erst Mitte der 2030er Jahre endgültig beantworten. Wahrscheinlich wird bis 2030 mehr Kohle gefördert und verwertet als geplant. Mitentscheidend wird sein, wie stark in die Energie- und Wärmewende investiert wird.
– Aus der Sicht der Klimaschutzverhinderer ein voller Erfolg. Die Regierungspartei mit dem größten Anspruch an Klimaschutz wurde geschwächt. Zusätzlich wurde noch einen Keil zwischen Mitglieder der Grünen und weiteren Teilen der Klimaschutzbewegung getrieben. Das wird die Klimaschutzlobby gefreut haben.
Wer soll es nun aber richten? Unterstellen wir, nicht ganz zu Unrecht, dass Union, FDP und SPD keine oder nur halbherzig Klimaschutzpolitik umsetzen wollen, blieben im Bundestag nur Die Linke und die Grünen übrig.
Das größte Problem von Die Linke dürfte sein, dass, im Gegensatz zu den Grünen, strittige Punkte nicht in zähen demokratischen Prozessen geklärt sind. Das Wahlprogramm mit klimapolitischen Versprechungen ist dick, die konkreten Pläne zur Umsetzung eher dünn. Dazu kommt das der bekannteste und wohl beste Klimapolitiker von Die Linke, Lorenz Gösta Beutin gar nicht mehr im Bundestag sitzt, während deren klimapolitischer Sprecher Klaus Ernst zusammen mit dem starken Wagenknecht-Flügel alles andere als eine konsequente Klimapolitik betreibt – ganz im Gegenteil (siehe Nordstream2). Die eigentlich wichtige Rolle als klimapolitischer Gegenpart und Herausforderer für die Grünen ist außerhalb des Populismus deshalb kaum gegeben. Zusätzlich ist Die Linke durch ihre Sympathie für Putins Russland für weite Teile der Gesellschaft zurecht nicht wählbar.
Die Grünen wiederum gingen unter Baerbock und Habeck den Schritt weg von der Protestpartei, wodurch nun deutschlandweit zweistellige Wahlergebnisse möglich sind. Entgegen der landläufigen Meinung sind die klimapolitischen Vorhaben dadurch nicht schwächer geworden, sondern die Forderungen der Klimabewegung wurden die letzten Jahre richtigerweise deutlich höher. Die Lücke zwischen den Forderungen und den eigenen Vorhaben zu schließen ist derzeit der Balanceakt für die Grünen. Einerseits ist man als Juniorpartner der Ampel immer noch stark abhängig von seinen Koalitionspartner. Hinzu kommen die zähen Verwandlungen mit der deutschen Industrie und deren massiver Lobbymacht, die jederzeit mehrheitsfähige Stimmungen im Land beeinflussen kann. Andererseits verlangt sowohl die eigene Basis, sowie die Kernwählerschaft deutliche und schnelle Fortschritte. Die Erfolge der Grünen werden letztendlich von zwei Knackpunkten bestimmt werden: Wie sehr können sich die Grünen in der Ampel durchsetzen und wie werden diese Erfolge interpretiert und wahrgenommen.
Die Möglichkeit, dass eine neue Partei in Erscheinung tritt und innerhalb kürzester Zeit, bedeutende Erfolge erzielen kann ist gering. Die Strukturen einer Bundestagspartei sind gewaltig und eine solche lässt sich wohl kaum innerhalb weniger Jahre aus dem nichts heraus errichten. Zu sehen war das u.a. beim Wiedereinzug der FDP in den Bundestag 2017, die eine Legislatur benötigte um sich wieder eine größere Rolle zuzutrauen. Hinzukommt dass es neben der genauen Definition der Klimaschutzziele und deren Umsetzung auch über die weiteren Politikfelder ein halbwegs abgestimmtes Programm braucht, um für eine breite Masse wählbar zu werden. Klimaschützer:innen sind keine homogene Gruppe von Menschen mit den selben politischen Ansichten. Unwahrscheinlich, dass eine neue Partei innerhalb weniger Jahre von der Gründung bis in eine Regierung schaffen kann. Mittelfristig könnte eine zusätzliche Partei allerdings das Spektrum positiv erweitern.
2. Rosinenpickerei:
Um es kurz zu machen: Wer nicht nackt in einer Höhle lebt, der hat in Deutschland immer einen globalgesehen hohen CO2-Fußabdruck. Mit der Rosinenpickerei machen wir es uns alle fruchtbar einfach mit dem Finger auf andere zu zeigen. „Du darfst kein Auto fahren, aber ich fliege nach Bali, weil Kreuzfahrtschiffe …“.
Ich kenne keine Person die nicht „Fehler“ macht die nicht kritisiert werden könnten, auch nicht in der Klimabewegung. Ein Hamburger kann leicht die Münchnerin für den Skiausflug kritisieren, findet aber die eine Autofahrt ans Wattenmeer völlig legitim. Die Kölnerin schimpft über den Mecklenburger Autofahrer, der wiederum ein Problem mit deren wöchentlicher Sushi-Ration hat. Selbstreflexion ist offenbar keine menschliche Stärke und das nutzen Lobbyisten sehr geschickt aus. Klimaschutz sollte für uns kein öffentlicher Wettbewerb sein, sondern eine persönliche Challenge mit dem Willen sich selbst zu hinterfragen, ohne sich dabei aber gesellschaftlich zu geiseln. Zu oft bürdet man sich ansonsten in eine starke psychische Belastung auf.
Eine große Stärke von Fridays-for-future war es bis vor Kurzem nicht in diese Rosinenpickerei miteinzusteigen, sondern sehr reflektiert auf die Hindernisse und Schwierigkeiten in verschiedenen Lebenssituation hinzuweisen. Das konservative Framing von Verbotsängsten und der Beschränkung individueller Freiheit wurde so mehr und mehr entkräftet. Die Aktionen von die Letzte Generation wiederum lassen den Protest der „Fridays“ dagegen fast schon spießig und harmlos wirken und verschaffen ihnen damit als gemäßigtere Bewegung eine breitere gesamtgesellschaftliche Zustimmung. Das war sicherlich nicht der erste Gedanke von Die Letzte Generation, ist aber ein großer Verdienst.
3. Alles-oder-Nichts:
Haben Sie schon mal Kritiker:innen oder Befürworter:innen von Grünem Wachstum nach einer Definition gefragt? Oder der nach Kapitalismus? Wenn Sie zehn Leute fragen, werden Sie zehn verschiedene Antworten bekommen. Letztlich pickt sich, ähnlich wie bei der Klima-Rosinenpickerei, jede:r das heraus was ihre/seine eigene politischen Überzeugung stützt. System change, not climate change ist der richtige Slogan, aber das bedeutet nicht, dass wir sofort alles perfekt machen müssen. Gerade konservative Medien und Politiker:innen legen regelmäßig den Finger in die Wunden zu diesen scheinbaren Widersprüchen und erreichen somit die gewünschte Spaltung der ökologisch-aufgeschlossenen Mehrheit. Gute Beispiele wo diese fossilen Lobbytricks sehr erfolgreich sind, sind das E-Auto und Windräder. Das E-Auto benötigt Rohstoffe und ist kein öffentliches Verkehrsmittel. Windräder töten Vögel und erzeugen Infraschall. Halleluja!
Genauso wenig hilfreich sind die Bubble-Diskussionen wie etwa zu Degrowth. Abgesehen davon, dass wir die nächste Defintionsschlacht führen, scheint auf absehbare Zeit Degrowth jeglicher Art wenig mehrheitsfähig zu sein, womit man schnell wieder Gefahr läuft in die konservative Falle von der Grünen-RAF zu treten.
All diese Debatten zerteilen die eigentlichen Mehrheiten für Kilmaschutz und führen zu Grabenkämpfen. Nutznießer sind die fossilen Industrien und die Klimaschmutzparteien. Es wird kostbare Zeit damit vergeudet, ohne auch nur ansatzweise ernsthaft gesamtgesellschaftlich zu definieren was unter den einzelnen Kampfbegriffen tatsächlich verstanden wird.
Es versteht sich von selbst einen Systemwechsel erreichen zu müssen der soziale Ausbeutung und Artenstreben schrittweise minimiert. Der Anspruch mit Perfektion zu starten, wird aber jedmöglichen Fortschritt blockieren.
Fazit:
Eine gewisse Verbitterung darüber, dass es vielen offenbar wichtiger ist mit Selbstgerechtigkeit zu scheitern als pragmatisch voranzukommen, sollte erlaubt sein. Ich kenne das Gefühl einen Kompromiss schließen zu müssen, der nicht perfekt ist, der aber deutlich besser ist als der Status Quo. Die Angriffe und Beleidigungen der meist Konservativen sind dabei oft eingepreist. Berechtigte Kritik weil zu wenig und zu langsamer Kilmaschutz erreicht wird, sind meist eher hilfreich. Persönlich schwer enttäuschend sind aber die Angriffe angeblicher Klimaschützer:innen die selbst weder etwas beigetragen haben und noch sich einer Diskussion stellen mussten, nun aber schwere persönliche Vorwürfe, teilweise mit falschen Behauptungen und Unterstellungen öffentlich verbreiten, um sich selbst (politisch) zu profilieren. Die Habeckschen Gefühlswelten während Lützerath glaube ich dadurch ansatzweise zu erahnen.
Mein eigener Anspruch ist jedoch voranzukommen und in einigen Jahren den nachfolgenden Generationen ehrliche und gute Antworten über mein persönliches Handeln und Tun geben zu können. Seine eigene Selbstgerechtigkeit ansatzweise immer wieder zu überwinden ist dabei für mich, aber auch für andere, die wahrscheinlich größte Herausforderung, aber gleichzeitig auch, neben eines (klima-)politischen Basiswissens, der beste Schutz vor Lobbymanipulation.
München, 23. Februar 2023 von Maximilian Scherer